Authentisch sein im Job – ja oder nein? Und wenn ja, was heißt das genau?

Ich weiß, über dieses Thema sind schon viele Texte geschrieben worden und beim Lesen merkt man sofort, es wird kontrovers diskutiert.

Zum einen wird die Auffassung vertreten, dass authentisches Auftreten der Schlüssel zum Erfolg sei – gerade auch authentische Führungspersönlichkeiten haben es demnach wesentlich einfacher. Und zum anderen wird gesagt, dass Authentizität die Karriere gefährden kann, denn offen mit Emotionen umgehen und Privates preisgeben mache angreifbar und wirke wenig souverän.

Immer wieder merke ich, irgendwas stimmt für mich nicht. Gibt es tatsächlich so viele unterschiedliche Ideen vom authentischen Auftreten? Einiges ist für mich in dieser Debatte in jedem Fall missverständlich.

1. Missverständnis: Authentisch sein heißt Gefühle ausleben

Man hört und liest immer mal wieder: Das Ausleben seiner Gefühlszustände hat im Arbeitsalltag nichts verloren, daher ist Authentizität nicht angesagt.

Klar stimmt es, dass das Ausleben jeglicher Gefühlszustände am Arbeitsplatz ganz sicher nicht seinen Platz hat, aber das Missverständnis dabei:

Das Ausleben von Wutanfällen, Frust und anderen Macken hat gar nichts mit Authentizität zu tun. „So bin ich halt“ ist nicht authentisch! Auch nicht, wenn man gerade noch so wütend ist. Das offene, unkontrollierte Ausagieren ist lediglich die Identifikation mit der Gefühlslage und bedeutet, die Emotionen in dem Moment nicht regulieren zu können.

Klar, das kann mal passieren, aber jemand der sich selbst gut kennt, kann in den meisten Fällen auch ganz gut mit seiner Gefühlslage umgehen. Seine Emotionen wahrnehmen, verstehen und beeinflussen, das heißt, dass man steuern und somit frei entscheiden kann in welcher Intensität man Gefühle zeigt.

Fühlt man sich dagegen äußeren Einflüssen und seinen Emotionen ausgeliefert, ist man nicht mehr Herr der Lage und die Gefühle haben einen im Griff. Dies kann in beide Richtungen gehen: Emotionen werden zu heftig ausgelebt oder ganz weggedrückt.

Wirklich authentisch ist man aber erst, wenn man sich selbst gut kennt und mit sich umgehen kann.

2. Missverständnis: Emotionen verbalisieren ist authentisch und hilft immer in schwierigen Situationen

Gerade wir Trainer für Soft Skills verweisen immer wieder auf die Bedeutung der Beziehungsebene in der Kommunikation. Wenn es um die Beziehungsebene geht, sollte jeder seine Emotionen offen ausdrücken. Dahinter steht die Annahme, Gefühle äußern sei authentisch. Nur so könne man sich wirklich verstehen, Nähe herstellen und Unstimmigkeiten klären.

Natürlich stimmt es, dass Kommunikation zu einem großen Teil auf der Beziehungsebene stattfindet, aber das Missverständnis dabei ist:

Durch das Ausdrücken oder Benennen der Emotionen allein, entsteht beim Gegenüber noch nicht unbedingt Verständnis. Konflikthafte Situationen klären sich dadurch nicht von alleine und es erzeugt auch nicht automatisch Nähe.

Im Job haben die anderen kein oder nur begrenztes Verständnis, wenn wir nicht die volle Verantwortung für unsere Emotionen übernehmen. Mit dem Ausdruck ungeklärter Emotionen ist doch oft auch nur die Hoffnung verbunden, dass andere Verständnis aufbringen und sich in der Folge anders verhalten. Verfolgt wird damit das Ziel, die eigenen negativen Emotionen nicht mehr fühlen zu müssen. Das funktioniert meist nicht, da die anderen einen weder retten können noch wollen.

Authentisch ist es aus meiner Sicht erst dann, wenn man die volle Verantwortung für seinen (emotionalen) Zustand übernimmt und dann entscheidet, was man wie kommuniziert. Auf der Beziehungsebene kann dann ein wirklich echter Austausch über Bedürfnisse und Lösungen stattfinden.

3. Missverständnis: Authentisch sein ja, aber bitte je nach Rolle

Oft wird auch geraten eine klare Rolle im Job einzunehmen, da je nach Position ein bestimmtes Verhalten erwartet wird. Es soll, z.B. in der Führungsrolle, eine Grenze geben, wie weit die Authentizität gehen darf. Hierzu gehört, dass private Gefühle im Job nichts zu suchen haben, da diese Form von Authentizität Schwäche bedeuten und der Karriere schaden würde.

Unbestritten haben wir alle im Leben unterschiedliche Rollen inne und Verhalten uns somit kontextbezogen, aber:

Geht die Dosierung von Authentizität je nach Rolle wirklich? Zwischen beruflicher und privater Authentizität zu unterscheiden, klingt, als wenn man genau definieren könnte, was das korrekte Verhalten in welcher Rolle ist. Die Erwartungen der anderen lassen sich aber genauso wenig bestimmen, wie das was man in einer Rolle erleben möchte. Wir können dies nicht definieren und planen. Eine „gespielte Rolle“ wird daher meist auch ungewollt immer wieder verlassen – und dies wirkt in keiner Weise authentisch.

Wie wir allerdings mit Ereignissen und Emotionen umgehen, wie wir diese für uns bewerten und wie wir handeln, das können wir ganz bewusst entscheiden. Ganz selbstverantwortlich und mithilfe eines guten Emotionsmanagements. Dies gilt für jede Rolle. Kann ich es in einer Rolle, gelingt es mir auch in einer anderen und sorgt so für weitgehend gesunde und stabile (Arbeits-)Beziehungen und ein authentisches Auftreten.

Fazit: Worum geht es wirklich beim authentischen Auftreten?

Dies lässt sich für mich zunächst ganz einfach beantworten: Authentisch sein heißt: ganz bei sich sein.

Bis hierhin stimmen wahrscheinlich viele zu. Nur, was heißt „ganz bei sich“ wirklich?

Es heißt eben nicht pures Ausleben seiner Gefühle á la so bin ich halt – wem es schmeckt ok und wem nicht, der hat selber Schuld. Es heißt auch nicht, dass es immer hilft die eigenen Gefühle zu benennen. Dies kann durchaus sinnvoll sein, aber nur, wenn wir zuvor die volle Verantwortung für unseren Zustand übernommen haben und es nicht mit der Hoffnung oder gar Erwartung verbinden, dass andere ihr Verhalten verändern, damit unsere Gefühlslage wieder angenehmer wird. Und letztendlich eine Rolle genauso auszufüllen, wie man glaubt, dass es sich gehört und Grenzen für Authentizität zu definieren, ist gar nicht nötig, wenn man wirklich ganz bei sich ist.

Bei sich bleiben heißt zu akzeptieren, was gerade ist und dabei nicht auf Gedanken und Gefühle „reinfallen“ – seien es die eigenen oder fremde. Mit allen aufkommenden Ereignissen und Emotionen erwachsen und souverän umzugehen, bedeutet, sich nicht mit ihnen zu identifizieren oder sich ihnen ausgeliefert zu fühlen. Was sich wann und wie ereignet und was es in uns auslöst, können wir eh nicht bestimmen und kontrollieren. Wie wir damit umgehen aber schon.

Selbstwahrnehmung und ein gutes Emotionsmanagement sind also eine Grundvoraussetzung für ein authentisches Auftreten. Ein gesundes Selbstwertgefühl das Fundament. Es geht darum zu erkennen, was eine Situation mit einem macht, dafür die Verantwortung zu übernehmen und in der Folge zu entscheiden, welches Verhalten den eigenen Bedürfnissen entspricht.

Kennen und schätzen wir unser wahres Selbst, zeigen wir Persönlichkeit und geben unserem Auftreten die individuelle Note. Das macht uns unverwechselbar und auch glaubwürdig – das ist authentisch! Hierzu gehört natürlich auch, zu seinen Schwächen zu stehen, verletzbar zu sein und nicht immer und jedem gefallen zu können. Wer authentisch handelt, hat Werte und Überzeugungen und weiß, wofür er steht und wo seine Grenzen sind.

So verstanden ist Authentizität sicher ein Erfolgsfaktor!

Und ich bin überzeugt, dass dann auch weniger Drama gelebt wird und es mit der Wertschätzung viel besser klappt!

https://zielklar.com/3-impulse-wie-wertschaetzung-am-arbeitsplatz-wirklich-gelebt-werden-kann/